von Hans Werner Büchel · erstmals im Mai 2022 auf dieser Webseite veröffentlicht
Frieden schaffen – mit immer weniger Waffen. Das stand spätestens seit dem Ende des „Kalten Krieges“ als Leitmotiv über der Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands, Europas und der freien Welt. Immer weniger Waffen hieß: mehr Diplomatie, mehr völkerrechtlich verbindliche Verträge, mehr Kompromisse beim Interessenausgleich, mehr Völkerverständigung, mehr Frieden. Der Krieg als Mittel der Politik wurde geächtet und schien nicht mehr denkbar.
Ausdruck des neuen sicherheitspolitischen Denkens bei uns in Deutschland waren die Verkleinerung der Bundeswehr, das Aussetzen der Wehrpflicht und vor allem die Konversion ehemaliger vom Militär genutzter Flächen in zivile Nutzungen. Deutschlandweit und auch bei uns in Ottweiler wurde diese Konversion für jeden erkennbar. Die Saar-Pfalz-Kaserne im benachbarten Bexbach wurde zum Gewerbegebiet. Im Quartier Welvert der französischen Armee in St. Wendel findet sich heute ein großer Golfplatz, und alle Kasernengebäude konvertierten zu friedlichen Nutzungen. Schließlich Ottweiler selbst. Das riesige Gelände unterhalb des Betzelhübels, das in den 1950er Jahren als Standort für ein Panzerbataillon vorbereitet wurde, das dann doch nicht nach Ottweiler kam und schließlich Standortübungsplatz für die Bexbacher Jägertruppe wurde. Auch dieses Gelände wurde vollständig konvertiert, umgewandelt zu einem der größten und schönsten Wohngebiete im weiten Umkreis von Ottweiler.
Eine ähnlich große Fläche wurde mir persönlich zum Symbol für diese Art von Konversion. Es ist das Gelände der Eberhard-Finckh-Kaserne in Engstingen auf der Schwäbischen Alb. Dort wurde ich vor fast fünfzig Jahren Soldat und lernte als junger Rekrut auch das Schießen mit der Waffe. So wie im Laufe der Jahrzehnte Hunderte Rekruten auf der Standortschießanlage ihren ersten scharfen Schuss abgaben, so feuerte auch ich erstmals im Leben mit scharfer Munition aus meinem Gewehr auf „Pappkameraden“. Das hörte erst auf, als sich das „Frieden schaffen – mit immer weniger Waffen“ durchsetzte. Das neue sicherheitspolitische Denken führte dazu, dass man die Kaserne auf der Alb und mit ihr die Standortschießanlage nicht mehr brauchte. Das ganze Areal wurde konvertiert. Heute befindet sich auf dem Kasernengelände der Gewerbepark Engstingen-Haid mit vielen Mittelstandsbetrieben, einer Biogasanlage, Freizeiteinrichtungen und einem Hotel. Und auch die Standortschießanlage wurde konvertiert. Dort produzieren heute hunderte von Sonnenkollektoren nachhaltigen Ökostrom.
Konversion auch in den Köpfen?
Frieden schaffen – mit immer weniger Waffen. Diese Aufforderung zur Konversion konnte bei uns im rein materiellen Bereich nur gelingen, weil sie auch in unseren Köpfen gelang. Auch bei mir persönlich prägte sich ein verstandesgemäßes Umdenken immer weiter aus. Die Grundlagen dazu wurden allerdings im Elternhaus und während der Schulzeit gelegt. Krieg wurde mir als etwas Grauenvolles und Schreckliches und nicht als etwas Schönes und Erstrebenswertes vermittelt. Während meiner Soldatenzeit wurde ich dann mit dem Primat der Politik in Verteidigungsfragen vertraut gemacht. Schon damals wurde mir die politische Bedeutung der NATO bewusst, die schon immer mehr als ein reines Militärbündnis war. Es wurde mir zur Selbstverständlichkeit, die Mittel der friedlichen Politik und des ausgleichenden Dialogs als Prämisse von Konfliktlösungen anzuerkennen. Gleichwohl blieb ich Realist. Das bedeutete grundsätzlich: So wie mich die zwölf Jahre als Soldat nicht zum Militaristen machten, so formten mich die zivilen Jahrzehnte bis heute nicht zum Pazifisten. Dieser Realismus ließ mich auch erkennen, dass alle Konversionen, also die materiellen Umwandlungen von Militärflächen in zivile Nutzung wie auch das Umdenken in den Köpfen der Menschen nur im freien Westen erfolgreich waren. In den totalitären Staaten dagegen nicht. Insbesondere die politische Klasse im sowjetischen Imperium, das sich nach der Wende in Gemeinschaft unabhängiger Staaten umbenannte, verharrte, trotz Glasnost und Perestroika, im alten Denken.
Putins Konversion in die Vergangenheit
Die im Wesentlichen aus milliardenschweren Oligarchen gebildete Oberschicht Russlands, das zum Erben des früheren Sowjetreiches wurde, wird heute von Wladimir Putin angeführt. Ein Mann, für den Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit, Gewaltenteilung oder unabhängige Kontrolle des Regierungshandelns Fremdbegriffe sind. Ein Mann, der auch mit Wandel durch Annäherung oder Interessenausgleich durch Dialog nichts, aber auch gar nichts anfangen kann. Im Gegenteil: seit Beginn seiner „Karriere“ vor mehr als zwanzig Jahren sind ihm solche Kategorien politischen Denkens und Handelns schlicht zuwider. Und sie waren es wohl auch schon in den Zeiten davor, als er noch aktiver KGB-Offizier war. Nach dem Fall der Mauer kehrte Putin frustriert und niedergeschlagen von seinem mehrjährigen DDR-Einsatz nach St. Petersburg zurück. Der Wandel, der sich damals in Europa und der freien Welt vollzog, passte nicht zu seinem Weltbild. Stattdessen wandte sich Putin der Welt des Revisionismus und zugleich auch des Revanchismus zu. Dem folgend setzte bei Putin und seinen engsten Vertrauten ein Denken in altrussischen, bisweilen zaristischen Kategorien ein, die er sich von Beratern wie Alexander Dugin konstruieren und von Netzwerkern wie Wladimir Jakunin weltweit verbreiten ließ. Bereits nach wenigen Jahren im Amt als Präsident der russischen Föderation brachte er seine über viele Jahre angestauten Frustrationen unmissverständlich zum Ausdruck: In einer Rede vor den Mitgliedern der Föderationsversammlung bezeichnete Putin am 25. April 2005 den Zerfall der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe“ des 20. Jahrhunderts. Das hatte fatale Folgen. Während im Westen serienweise Einweihungen von Gewerbe- oder Freizeitparks in ehemaligen Kasernen oder auf früheren Übungsplätzen gefeiert wurden, vollzog sich im Putin-Reich eine Konversion ganz anderer Art.
Putins Denken konvertierte zurück in die Zeit des Zerfalls der Sowjetunion, als sich jene für ihn größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts ereignet hatte. Diese Zeit wurde zum Ausgangspunkt für seinen Revisionismus und für seine geopolitische Rache. Seine revidierte Sicht der Weltpolitik verkündete er am 24. Februar 2022 in seiner Fernsehansprache, mit der er nach seinen Worten die „Spezialoperation“ zur „Entnazifizierung“ der Ukraine in Gang setzte.
Mit dieser Rede ließ Putin endgültig die Maske fallen. Die ganze Welt erkannte sein wahres Gesicht. Es ist das Gesicht eines Verbrechers, der als Paria, als der von der humanen Welt Ausgestoßene in die Geschichte eingehen wird. Der Verbrecher Putin hat grundlos einen Angriffskrieg gegen den souveränen Staat der Ukrainer befohlen. Er trägt damit die Verantwortung für die Verbrechen, die in diesem Krieg begangen wurden und weiter begangen werden.
Putin konvertierte vom kleinen KGB-Offizier zum großen Kriegsverbrecher.