Das Archipresbyteriat Neumünster

Neuorganisation der christlichen Kirche in unserem Land

Am 1. Januar 2023 gründete das katholische Bistum Trier den Pastoralen Raum Neunkirchen, in dem acht zum Teil zuvor fusionierte Pfarreien unter der Verantwortung eines dreiköpfigen Leitungsteams zu einem seelsorgerischen Wirkungsbereich zusammengefasst wurden. Wenn man sagt, das Archipresbyteriat Neumünster sei der erste pastorale Raum in unserer Gegend gewesen, dann sind damit seine Bedeutung und Zweckbestimmung sehr genau umschrieben. In den mehr als 1200 Jahren zwischen der Zeit des Archipresbyteriats Neumünster und dem neuen Pastoralen Raum Neunkirchen organisierte sich die katholische Kirchen in Dekanaten, in denen die selbstständigen Pfarreien zusammengeschlossen waren und die von Dechanten geleitet wurden.

Die Geschichte des Archipresbyteriats Neumünster ist allerdings keine rein katholische Angelegenheit, sondern Teil der christlichen Kirchengeschichte der heutigen Stadt Ottweiler und ihres weiteren Umlandes. Denn von seinen Anfängen um die erste Jahrtausendwende bis zur Reformation im 16. Jahrhundert umschloss es ein Gebiet von mehr oder weniger gottesfürchtigen Menschen, die sich Christen nannten, und für deren Seelenheil geweihte Priester sorgten. Der Begriff „Archipresbyteriat“ leitet sich von der Amtsbezeichnung des Archipresbyters ab, wie man in der frühen Kirche einen Erzpriester nannte. Er hatte die Stellung eines Haupt- oder Oberpriesters, dem weitere Geistliche unterstellt waren. Verwandte Begriffe begegnen uns im Wort "Architekt" als alte Bezeichnung des "obersten Handwerkers" oder in "Architrav", dem "Hauptbalken" bei antiken Säulenbauwerken.

Erzpriester gab es bereits seit dem frühen Mittelalter. Schon im 6. Jahrhundert finden wir sie sowohl an den großen Kirchen der Bischofssitze als auch an den Taufkirchen im ländlichen Raum. Im Frankenreich Karls des Großen wurden die neu gegründeten kleineren Landpfarreien mit Erzpriestern besetzt, ab dem 9. Jahrhundert trugen sie in manchen Gegenden auch den Titel „Dekan“. Die Erzpriester unterstanden direkt dem Bischof und hatten innerhalb ihres Archipresbyteriats bzw. Dekanats besondere Befugnisse. Sie durften Geistliche einsetzen, visitierten die örtlichen Pfarreien und meldeten Missstände dem Bischof. Darüber hinaus hatten sie eine auf ihren Bezirk beschränkte Rechtsgewalt und Disziplinarbefugnis. Die Priester wurden auch als Kleriker bezeichnet, ihre Gesamtheit innerhalb des Archipresbyteriats nannte man Klerus.

Während das überwiegend aus Bauern und Handwerkern bestehende einfache oder „gemeine“ Volk weder lesen noch schreiben konnte und sein Wissen ausschließlich durch mündliche Überlieferungen übernommen und weitergegeben hatte, bestand der Klerus aus durchweg gebildeten Menschen. Bereits im frühen Mittelalter gab es Klosterschulen, zu denen in späterer Zeit die Domschulen an den Bischofssitzen traten. Karl der Große erließ als fränkischer König und Kaiser (Regierungszeit von 768 bis 814) eine Vorschrift, wonach an allen Bischofskirchen Schulen einzurichten waren, an denen als grundlegende Fächer Singen, Lesen, Schreiben, die Berechnung des Ostertermins und die lateinische Grammatik unterrichtet wurden. In den höheren Stufen dieser Domschulen kamen dann die „sieben freien Künste“ (Grammatik, Dialektik, Rhetorik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) hinzu. Die solchermaßen gebildeten Kleriker genossen beim einfachen Volk ein allgemein hohes Ansehen. Sie galten als die direkten Vermittler zwischen Gott und den Menschen, deren Sprechen und Handeln als unmittelbar heilig betrachtet wurde, weshalb sie bisweilen vom Volk sogar verehrt wurden.

Mit Hardung wird im Jahre 1180 erstmals ein Erzpriester zu Neumünster genannt. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die dort bestehende Johanniskirche zum Sitz des Archipresbyteriats Neumünster geworden war. Die Existenz der Johanniskirche ergibt sich aus einer Urkunde vom 17. August 1223 über die von Bischof Konrad von Scharfenberg (Bischof von Metz von 1212 bis 1224, amtierend in Speyer) vollzogene Inkorporation der Kirchen Neumünster und St. Anian in das damals schon seit mehr als zweihundert Jahren bestehende Kloster Neumünster. Die Nennung einer Kirche in Neumünster im Urkundentext kann sich nicht auf die vorhandene Klosterkirche, sondern nur auf eine zweite Kirche am Ort bezogen haben. Diese zweite Kirche war die als Tauf- und Pfarrkirche erbaute Johanniskirche, weil – so lesen wir es bei Hansen – „die Klosterkirche in der Regel keine Tauf- oder Pfarrkirche sein durfte“. Wann genau diese Kirche errichtet wurde, ist unbekannt. Klar ist indes, dass Ihre Funktion als Sitz des Archipresbyteriats Neumünster eng mit der Auflösung des Chorherrenstifts verbunden war.
Das Haus Feldstraße 5 soll in seinem zur Straße hin stehenden Teil das Chor der ehemaligen Johanniskirche zeigen, so die hergebrachte Überlieferung der Ottweiler Stadtgeschichte. Im Jahre 1998 entdeckte demgegenüber der Ottweiler Architekt K. D. Groß Gebäudereste und Lage der Tauf- und Pfarrkirche wieder und zwar auf den Parzellen der Anwesen Klosterstraße 4 und Feldstraße 3a.
(Bilder: Foto Klotz [links], Dieter Robert Bettinger [Mitte] Karl Dieter Groß [Plan rechts])

Das Chorherrenstift war im 9. Jahrhundert gegründet worden, um in den kirchlicherseits verwaisten Pfarrorten der Gegend durch regulierte Chorherren wieder eine geordnete Seelsorge zu schaffen. Dies Orte sind durch die überlieferten Urkunden bekannt. Dem Stift am nächsten lag das Dorf Linxweiler (Linchisisvillare, das heutige Niederlinxweiler) mit der dem hl. Martin geweihten Kapelle. Dazu gehörten noch die Mutterkirche St. Stephanus zu Illingen (Letoltingos) mit der von ihr abhängigen St. Martins-Kapelle in Schiffweiler (Scufinisvillare). Nicht dazu gehörte das ebenso nah wie Linxweiler legende Dorf Wiebelskirchen (Wibilis-chirca). An diesem Ort bestand eine Eigenkirche aus fränkischer Zeit, die offenbar dem Einfluss der Chorherren entzogen war. Es sind mit dem gut 30 km entfernten Eschringen (Eskringos) und dem mehr als 150 km weit weg an der Mosel gelegenen Briedel (Bredaillo) noch zwei weitere Orte bekannt, an denen das Stift Besitzungen hatte. Nicht bekannt ist jedoch, ob es dort Kirchen oder Kapellen gab, die ebenfalls von den Kanonikern betreut wurden. Zumindest bei Briedel kann das von der Entfernung her ausgeschlossen werden, zumal es auch außerhalb der Metzer Diözese lag.

Die Chorherren waren allesamt geweihte Priester, während das beim Prior als Leiter des Stifts nicht zwingend der Fall sein brauchte. Sie hatten den Auftrag, vom zentralen Ort des Chorherrenstifts aus ihren seelsorgerischen Dienst in den Pfarrorten zu leisten, bekannterweise also in Linxweiler, Illingen und Schiffweiler. Diese Orte mit ihren Kirchen und Kapellen waren zunächst Filialen der Stiftskirche, wuchsen sich aber mehr und mehr zu eigenen Pfarreien aus. Auch dürften mit der Zeit weitere Dörfer und Höfe dazugekommen sein. Dies führte notwendigerweise zur Residenzpflicht der Chorherren an den einzelnen Pfarrstellen. Diese pastorale Praxis führte schließlich wie von selbst zur Auflösung des Chorherrenstiftes am Hahnenberg.

Gleichwohl konnte das Stift nicht ohne weiteres aufgehoben werden, denn die Chorherren hatten die Grundherrschaft und die Baupflicht an den Kirchen inne und waren zudem zum Unterhalt der Geistlichen in den Pfarreien verpflichtet. Diese Verpflichtungen mussten an einen Nachfolger übergehen. Aus den erhaltenen Urkunden ist nicht ersichtlich, ob das durch kaiserliche Urkunde vom 22. November 1005 bestätigte Benediktinerinnerkloster Neumünster, das als monastische Einrichtung auf das Chorherrenstift folgte, in diese Rechte eintrat. Vielmehr geht aus den späteren Inkorporationsurkunden der einzelnen Pfarreien hervor, dass die Diözese Metz Rechtsnachfolgerin des Chorherrenstifts geworden war.

Im Chorherrenstift und im Kloster Neumünster begegnen uns mit Weltklerus und Ordensklerus zwei vollkommen verschiedene Formen klösterlichen Lebens im Mittelalter. Die Voraussetzungen dafür wurden unter Karl dem Großen auf den Aachener Reichs- bzw. Reformsynoden der Jahre 816/817 geschaffen. Dort wirkte der Reformabt Benedikt von Aniane, der auf dem Aachener Konzil (816 – 819) die Regel des Ordensgründers Benedikt von Nursia als alleinverbindlich für alle monastischen Einrichtungen des fränkischen Reichs vorschrieb. Zugleich erfolgte eine Teilung in den „ordo canonicus“ (Weltklerus), dessen Angehörige nicht der Benediktinerregel unterlagen und die vornehmlich zur Seelsorge und Mission vorgesehen waren und den „ordo monasticus“ (Ordensklerus), der strikt an die Regeln Benedikts gebunden war und folglich auch weltabgeschlossen sich dem Gebet und der Klosterarbeit widmete. Die von diesem Konzil vorgeschriebene Verfassung des Ordensklerus galt grundsätzlich für Männer- und Frauenklöster gleichermaßen, mithin auch für das fast 200 Jahre danach gegründete Benediktinerinnenkloster Neumünster. Die Bestimmungen zum Weltklerus hingegen waren für das Chorherrenstift verbindlich. Die Kanoniker am Hahnenberg folgten allerdings der weiterentwickelten Regel des hl. Chrodegang, der von 742 bis 766 Bischof von Metz und ein bedeutender fränkischer Kirchenreformer war.

Der Kirchenbezirk von Neumünster wuchs in den ersten Jahrhunderten seines Bestehens zu beachtlicher Größe. Nach einer Karte aus dem geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz umfasste das Archipresbyteriat Neumünster gegen Ende des Mittelalters um 1450 folgende Orte mit Pfarr- oder Mutterkirchen: St. Wendel, Niederlinxweiler, Dirmingen, Fürth, Neumünster, Illingen, Wiebelskirchen, Schiffweiler und Forbach (Furpach). Dazu kamen Neunkirchen und Spiesen als Orte mit Filialkirchen und Dörrenbach, Ottweiler, Wemmetsweiler und Wellesweiler, wo Kapellen vorhanden waren. Und schließlich unterstanden auch die Dörfer ohne Kirchen oder Kapellen, nämlich Urweiler, Oberlinxweiler, Urexweiler, Hangard und Merchweiler dem Archipresbyteriat Neumünster, zusammen immerhin zwanzig mehr oder weniger große Dörfer. Die Orte mit Kirchen oder Kapellen, an denen ein Priester tätig war, nannte man von alters her „Pfarre“ und den dort wirkenden Priester „parherr“, „pfarreherre“ oder „pharrer“. Diese aus alten Urkunden überlieferten Bezeichnungen wandelten sich im Laufe der Zeit zu Pfarrei und Pfarrer. Aus der Residenzpflicht eines Pfarrers ergab sich, dass er unmittelbar bei der Kirche in einem Pfarrhaus wohnte, in dem meist auch ein eigener Dienstraum für den Vollzug kirchlicher Beurkundungen vorhanden war.
Übersichtskarte des Archipresbyteriats Neumünster um 1450

Die pastorale Struktur des Archipresbyteriats Neumünster blieb von der Gründung an bis zur Zeit der Reformation vom Grundsatz her unverändert. Der Erzpriester hatte an der Johanniskirche auf Neumünster seinen Sitz. In unmittelbarer Nachbarschaft bestand das Benediktinerinnenkloster mit der Klosterkirche „Zur hl. Dreifaltigkeit und zum hl. Terentius“, und nicht weit von der Klostermauer entfernt standen der zur Vogtei des Klosters gehörende herrschaftliche Hof und die ersten Häuser des allmählich sich herausbildenden Dorfes Neumünster. Der „Hof zu Neumünster“ wurde 1252 erstmals genannt und die erste urkundliche Erwähnung des Dorfes Neumünster erfolgte im Jahre 1321.

Mit der Einführung der Reformation in der Grafschaft Ottweiler im Jahre 1575 unmittelbar verknüpft ist die Aufhebung des Klosters Neumünster. In der Chronik der Evangelischen Kirchengemeinde Ottweiler sind viele Einzelheiten aus der Zeit des Übergangs zur neuen Glaubenslehre überliefert, nicht jedoch über ein mögliches Fortbestehen des Archipresbyteriats Neumünster. Auch in der von Johann Anton Joseph Hansen 1853 herausgegebenen Geschichte der katholischen Pfarrei Ottweiler-Neumünster, die im Trierer Bistumsarchiv erhaltenen blieb, wird das Archipresbyteriat in nachreformatorischer Zeit mit keiner Silbe erwähnt.

Demgegenüber deutet der geschichtliche Beitrag des Benediktinerpaters Johannes Hau in der 1934 herausgegebenen Festschrift der Pfarrei auf ein Weiterbestehen des Archipresbyteriats hin. Die seinem Beitrag beigefügte Übersichtskarte zeigt das Territorium des Kirchengebiets „um 1450“ und zugleich die um die Archipresbyteriate St. Arnual und Hornbach erweiterte Größe „um 1610“, also vor und nach Einführung der Reformation. Im Text selbst bleibt allerdings auch bei Hau ein möglicher Fortbestand nach Einführung der Reformation gänzlich unerwähnt und damit offen.

Mit der um 1555 begonnenen Einführung der lutherischen Lehre in unserer Gegend war im Jahre 1575 auch die Übernahme der neuen hessischen Kirchenordnung in den Grafschaften Nassau-Saarbrücken und Ottweiler verbunden. Es ist denkbar, dass das Archipresbyteriat Neumünster in seiner Grundstruktur noch bis zum Abschluss der Reformationseinführung weiter bestanden hatte. Dies war um das Jahr 1580 der Fall. Ein genaues Enddatum lässt sich dafür nicht bestimmen. Allgemein kann man aber sagen, dass es nach rund 600 Jahren am Ende des 16. Jahrhunderts obsolet geworden war.
Übersicht der Evangelischen Landeskirche um 1575

Danach dürfte die Synodalverfassung der evangelischen Kirche auch in unserer Gegend Fuß gefasst haben. Denn bereits im Jahre 1581 führten die im evangelischen Glauben erzogenen Brüder Graf Philipp und Graf Albrecht von Nassau-Weilburg, die der letzte katholische Graf Johann IV. im Jahre 1565 testamentarisch zu seinen Nachfolgern bestimmt hatte, in ihren Herrschaftsgebieten eine allgemeine Kirchenordnung ein. Graf Albrecht von Nassau-Weilburg-Ottweiler, so lautete sein offizieller Titel, setzte sie in seinen Herrschaftsbereichen Ottweiler und Homburg um. Wie die lutherische Lehre im Allgemeinen, so war auch diese neue Kirchenordnung im Besonderen für alle in der Grafschaft lebenden Menschen verbindlich. Denn schon seit dem im Jahre 1555 ausgehandelten Religionsfrieden zu Augsburg durften die Landesherren bestimmen, welche Religion in ihrem Herrschaftsbereich gelten sollte. Diesem Recht folgend, organisierte sich in den Grafschaften Nassau-Saarbrücken und Ottweiler eine eigene Landeskirche, an deren Spitze der Generalsuperintendent Laurentius Stephani stand. Zum Aufsichtsbezirk des Superintendenten innerhalb der Ottweiler Herrschaft gehörten folgende Orte und Pfarreien: Neumünster und seine Filialen Ottweiler, Steinbach, Mainzweiler und ein Teil der Gemeinde Welschbach; Wiebelskirchen und Neunkirchen; Schiffweiler und Stennweiler; Nieder- und Oberlinxweiler, Dirmingen mit Uchtelfangen, Urexweiler, Remmesweiler, Hirzweiler und der andere Teil von Welschbach; Fürth mit Dörrenbach; Homburg, Altstadt und seine Filialen Limbach und Mittelbexbach sowie das in Rheinhessen liegende Jungenheim.

Ergänzende Anmerkungen:

Die Errichtung des im Jahre 1005 bestätigten Benediktinerinnenklosters Neumünster machte den Schutz durch die die Grafen von Saarbrücken als weltliche Herrscher erforderlich. Sie übertrugen diese Aufgabe an "Untervögte", die auf der Grundherrschaft der Saarbrücker Grafen unweit des Klosters einen Hof errichteten ließen, von dem Reste in einem noch vorhandenen Gebäude in der Hofstraße vorhanden sind. Auch der Straßenname "Im Hof" stammt von dieser herrschaftlichen Einrichtung, die in damaliger Zeit noch durch eine Schafhaltung (überliefert im Namen "Schäfereistraße") und lang parzellierte Gärten (überliefert im Straßennamen "In den langen Gärten) ergänzt wurde. Bis in die jüngste Zeit war auch noch das zum Vogteihof gehörende alte Backhaus vorhanden. Die nachfolgenden Aufnahmen geben einen Eindruck bzw. Überblick der damaligen Situation.
Der Hof zu Neumünster in früherer und neuerer Zeit, rechts das alte, nicht mehr vorhandene Backhaus
(Bilder: Hans Hopf [links], Dieter Robert Bettinger [Mitte und rechts])
 
Das nachfolgende Luftbild und die Kartenausschnitte geben einen Überblick über die Lage des Klosters mit der Johanniskirche, des Hofes zu Neumünster und der Stellen, an denen sich einstmals die Schäferei und die langen Gärten befanden.