Die Römerzeit
Das Römische Reich erlebte im letzten Jahrhundert vor Christus Epochen voller Unruhe. Rom und die anderen Zentren dieses Riesenreiches waren gekennzeichnet von großer sozialer Not. Reformversuche und Verfassungsbruch, politische Morde und Straßenkämpfe, Revolution und Bürgerkrieg beherrschten diese Zeit. Mit dem ersten Triumvirat verbanden sich im Jahre 60 v. Chr. der Feldherr Pompejus, der Volksführer Caesar und der Finanzmann Crassus, um die römische Politik nach ihren Plänen zu gestalten. Bereits zwei Jahre später begann Caesar mit der Eroberung Galliens und der Gebiete jenseits der Alpen. Am Ende dieser Feldzüge hatte er im Jahre 51 v. Chr. die römische Reichsgrenze von der mittleren Rhone bis an Rhein und Atlantik vorgeschoben. Die bei uns lebenden keltischen Volksgruppen wurden Zug um Zug der römischen Herrschaft unterworfen. Römische Siedlungen und ausgedehnte Landsitze entstanden, der Ausbau von Straßen und des Postwesens kam voran. Als um 120 n. Chr. der Limes als nördliche Reichsgrenze vollendet wurde, gehörte unsere Gegend zwischen Blies, Saar und Mosel zur Provinz Belgica und stand fest unter römischer Verwaltung.
Das Gebiet des heutigen Saarlandes war während der gesamten Römerzeit ein Grenzraum und kein eigenständiges politisches, geographisches oder ethnologisches Gebilde. Die Geschichte für diese Gegend lässt sich daher nur in unmittelbarem Bezug auf den angrenzenden Moselraum schreiben. So verwundert auch nicht, dass die Eroberungsfeldzüge und Schlachten während der gallischen Eroberungen durch Caesars Truppen weitab vom Saarland vermutlich im Gebiet zwischen Maas und Neuwieder Becken stattfanden.
Laubengang, Fassade und Straße der Ausgrabungsstätte Schwarzenacker bei Homburg, an der sich einst eine ausgedehnte römische Siedlung (Vicus) befand (Bild: Hans Werner Büchel)
Im Gegensatz zur keltischen Epoche sind uns vom Saarland der Römerzeit eine Fülle bedeutender Bauwerke und Kunstdenkmäler erhalten geblieben, die einen recht genauen Eindruck vom Leben zu dieser Zeit ermöglichen. Bis zum heutigen Tag kommen bei Ausgrabungsarbeiten neue Zeugnisse der Geschichte ans Tageslicht.
Blick in die öffentliche Therme in Bliesbruck mit einer auch für viele Privathäuser typischen Fußbodenheizung, dem Hypocaustum. (Bild: Hans Werner Büchel)
Vieles von dem, was wir heute in Museen und Ausgrabungsstätten besichtigen können, entstand während einer ganz besonderen Zeit der römischen Herrschaft. Die pax romana, die große römische Friedenszeit, die von 70 n. Chr. bis über das Jahr 220 n. Chr. andauerte, brachte unserer Region eine wirtschaftliche Blütezeit, die mit einer deutlichen Bevölkerungszunahme und Siedlungsverdichtung einherging. Während dieser mehr als 150jährigen Friedenszeit blühten auch die kleinen Landstädte (vici) in der Region auf. Einen sehr guten Eindruck von einem Vicus kann man sich in Schwarzenacker verschaffen, wo Teile dieser römischen Kleinstadt, in der seinerzeit mehr als 2.000 Menschen wohnten, freigelegt und teilweise rekonstruiert wurden. Einen ausgezeichneten Einblick in das Leben der damaligen Zeit gewährt auch der Vicus in Bliesbruck, der zusammen mit der Villa in Reinheim heute den Europäischen Kulturpark Bliesbruck-Reinheim bildet.
Die Ausgrabungen im Europäischen Kulturpark werden vor Ort mit Rekonstruktions-Grafiken ergänzt , durch die das ursprüngliche Aussehen der römischen Siedlung und der prachtvollen Villenanlage sehr anschaulich dargestellt werden.
(Fotos: Hans Werner Büchel · August 2020)
Auch auf dem Gebiet der heutigen Stadt Ottweiler gibt es zahlreiche Hinweise zur vormittelalterlichen Geschichte der Kelten und Römer. Die Funde auf den alten Fluren um Ottweiler kamen meist zufällig bei Bauvorhaben oder durch die Landwirtschaft ans Tageslicht. So gelang ein bedeutender Siedlungshinweis beim Bau der Straße von Ottweiler nach Fürth im Jahre 1936, als eine Wasserleitung aus der Römerzeit freigelegt wurde. Am "Bomberg" auf Steinbacher Bann, der in früherer Zeit zum Altbann Neumünster gehörte, entdeckte man, dass diese Wasserleitung in ihrer westlichen Fortsetzung zum "Fronbrunnen" führte. Genau dort war man bereits 1876 auf die Grundmauern eines römischen Gebäudes mit einem Begräbnisplatz gestoßen. Der saarländische Landeskonservator Dr. Keller kam nach der Entdeckung der Wasserleitung und den früheren Ausgrabungsbefunden zu dem Ergebnis, dass an der Stelle ein römisches Landhaus gestanden haben muss. Anton Hansen, der im 19. Jahrhundert über viele Jahre als Dechant und versierter Heimatforscher in Ottweiler wirkte, berichtete in der Häuser- und Familienchronik von einem altrömischen Gebäude, das im Garten "wo der Hanenborn oder Spitalbrunnen entspringt" gestanden habe. Möglicherweise handelte es sich dabei um einen jener römischen Quelltempel, die im Land zwischen Blies und Saar weit verbreitet waren. Es gibt viele weitere Hinweise auf frühere Siedlungstätigkeiten in unserer Gegend, so das keltische Brandgrab auf dem Friedhof in Mainzweiler, die römischen Funde in der Elgenbach an der Straße nach Illingen oder die jüngeren Entdeckungen römischer Siedlungsreste bei Fürth.
Die Aufnahmen entstanden im April/Mai 1984 während der Ausgrabungen im Bereich einer gallo-römischen Villa am Sicklerweg in der Elgenbach. Dabei wurden auch ein Raum mit der für die Zeit typischen Fußbodenheizung (Hypocaust, Bild oben rechts) sowie eine zuführende Wasserleitung (Bild unten links) freigelegt. (Bilder: Dieter Robert Bettinger)
All diese Funde beziehen sich aber nicht auf römische Kleinstädte (vici), wie sie im Wareswald, in Schwarzenacker, Pachten, Bliesbrücken, am Halberg oder beim Herapel im nahen Frankreich bestanden, sondern ausschließlich auf die zur Römerzeit entstandene Einzelgehöfte und Waldbauerngehöfte. Einige wenige davon gehörten reichen adligen Grundherren, die sich eine große, palastartige Villa leisten konnten. Solche Villen gab es in Reinheim, Mechern, Fremersdorf, Bierbach und in Nennig. Diejenige in Nennig bei Perl ist die größte Villa im Saarland, eine streng symetrisch angeordnete Anlage mit einer Gesamtlänge von 610 m.
Die gallischen Eroberungen der Römer unter Caesar und ihr Vordringen bis an den Rhein wären ohne eine gut funktionierende Verkehrsinfrastruktur undenkbar gewesen. Zwar bestand aus vorrömischer Zeit bereits ein leistungsfähiges Straßennetz, den Erfordernissen der Eroberer wurde es aber nicht gerecht. Daher begann bereits im Jahre 19 v. Chr. Agrippa, der wichtigste Helfer von Kaiser Augustus, mit dem Ausbau eines großen gallischen Fernstraßennetzes, dessen Mittelpunkt Lyon (Lugdunum) war und das fast ausschließlich militärischen Zwecken diente. Das heutige Saarland lag abseits dieser großen Fernstraßen, verfügte aber gleichwohl über ein eigenes regionales Straßennetz, das jedoch vorwiegend zu Handelszwecken diente. Reste dieser Römerstraßen sind noch heute nachweisbar; die Verbindung vom Vicus Schwarzenacker zum Vicus im Wareswald bei Tholey, die "Rainstraße" führte unmittelbar am heutigen Ottweiler vorbei. Sie wird in der neuzeitlichen Literatur oft als Römerstraße Wareswald-Ottweiler bezeichnet.
Auf der folgenden Karte ist der Verlauf dieser Straße dargestellt.
Übersicht: Verlauf der Römerstraße von Bexbach/Wellesweiler bis nach Tholey
Die Römer, die im Zuge der Eroberungen Caesars und danach in unser Land kamen, brachten natürlich ihre eigenen kulturellen Eigenarten und vor allem den römischen Götterkult mit hierher. Gleichwohl zeichneten sich die Römer stets durch große Toleranz gegenüber fremden Kulten und Götterverehrungen aus. In der Fremde vorgefundene Götter deuteten sie bei ähnlichen Eigenschaften als ihre eigenen italischen Gottheiten und gaben ihnen lateinische Namen. Diese Toleranz galt auch gegenüber den Bestattungsriten der gallischen bzw. keltischen Bevölkerung. Die seit etwa 350 v. Chr. bei den Kelten übliche Brandbestattung konnte auch unter den Römern, denen dies fremd war, bis ins 4. Jahrhundert n. Chr. beibehalten werden. Erst im Zuge der Christianisierung setzte sich die Körperbestattung allmählich durch.
Das Eindringen der römischen Kultur in die gallisch-keltische, die bis auf das Fehlen einer eigenen Schriftsprache alle Merkmale einer Hochkultur hatte, und das Tolerieren der jeweils anderen Sitten und Gebräuche schuf die Voraussetzung für eine weitgehende Romanisierung der einheimischen Bevölkerung ohne erkennbaren Zwang von oben. Der wohl wichtigste Faktor war, neben rein äußerlichen Merkmalen, wie der Übernahme römischer Bauweisen und Techniken, die Annahme der Sprache. Das Lateinische war nicht nur die Sprache des Militärs, sondern auch der Verwaltung und der Gerichtsbarkeit und fand deshalb rasche Verbreitung. Die Aufgabe der eigenen Sprache und die Annahme des Lateinischen bewirkte bei der einheimischen Bevölkerung ein allmähliches Herauslösen aus der eigenen Kultur und förderte zugleich eine neue, die gallorömische Kultur.
Während der Zeit dieses gallorömischen Inkulturationsprozesses breitete sich von Jerusalem kommend eine völlig neue Lehre aus. Eine Lehre, die nur einen einzigen Gott kannte. und eine ganz andere Betrachtung der Welt und der Menschen proklamiert, ohne Krieg, Not und Elend. Eine neue Lehre, die stattdessen die Nächstenliebe bis hin zur Selbstaufgabe verkündete. Das Christentum, das sich, im Gegensatz zu den Mysterienkulten der Römer, auf geschichtliche Berichte vom Leben, Tod und Auferstehung seines Begründers Jesus Christus und vom Glauben daran gründet, brachte letztendlich auch die römische Herrschaft ins Wanken. Die Römer konnten zunächst nicht verstehen, dass ein unsichtbarer Gott Herrscher der Welt sein kann. Duldung und Verfolgung der Christengemeinden wechselten sich daher in den ersten beiden Jahrhunderten nach der Geburt Jesu ab.
Die Eingottlehre, die in den europäischen Herrschaftsbereich der Römer eingedrungen war, ging nicht allein von den Christen aus. Auch die Juden, die schon sehr früh in Süd- und Mitteleuropa nachweisbar sind, hatten nur einen einzigen Gott. In ihrer Heimat Palästina hatten sich die Juden 70 n. Chr. und dann noch einmal 135 n. Chr. gegen die römische Besatzung erhoben. In Folge dieser Aufstände wurde der Tempel, das zentrale Heiligtum der Juden zerstört und Jerusalem zur römischen Stadt Aelia Capitolina umgebaut. Den Juden war der Zutritt bei Todesstrafe verboten. Durch die Darstellung eines feierlichen Triumphzuges auf dem Titusbogen in Rom ist belegt, dass die römischen Truppen nach der Zerstörung des Tempels im ersten Aufstand 70 n. Chr. neben Tempelschätzen auch jüdische Gefangene nach Rom führten.
Die Zerstörung ihres Tempels zwang die Juden zur Neuorganisation. Bisher waren zahlreiche jüdische Sekten, wie die Pharisäer, Sadduzäer, Essener und Zeloten, prägend für unterschiedliche Strömungen des Judentums. Nunmehr kam es durch einen geistigen Konzentrationsprozess zu einer einheitlichen Fassung der Gesetzesauslegung. In dieser neuen Verfasstheit gründeten sich jüdische Gemeinden rund um das Mittelmeer, aber auch bei uns, in den römischen Provinzen nördlich der Alpen.
Auch die jüdische Sekte der Christen war von dieser Neuausrichtung des Judentums betroffen. Die Christen gingen aber von Anbeginn andere Wege. Allein der Lehre Jesu folgend bildeten sie, organisatorisch wie spirituell, vollkommen neue Gemeinden, die sich in allen Elementen deutlich vom jüdischen Leben unterschieden. Zudem verbreiteten die Apostel die neue Lehre, dem persönlichen Sendungsauftrag Jesu folgend, auch außerhalb Palästinas. Insbesondere Paulus gelangte mit seinen Missionsreisen, die immer auch mit der Gründung christlicher Gemeinden verbunden waren, bis nach Europa und damit in den Kernbereich des spätantiken römischen Imperiums. Der Trennungsprozess zwischen Christen und Juden war um 150 n. Chr. abgeschlossen, als die Christen das Neue Testament als Bibel heiligsprachen. Die Christen verzichteten nicht auf die jüdische Bibel, sondern nahmen sie als Altes Testament in den Kanon ihrer Bibel auf.
Ungeachtet dessen setzte sich das Christentum klar vom Judentum ab. Beide Religionsgemeinschaften traten nun in Konkurrenz zueinander auf; Sinnbilder dafür sind die ecclesia (lat. Kirche) und die synagoga (von gr. synago, sich versammeln). Die Heilsträgerschaft des Judentums wurde von den Christen bestritten. Da die Juden Jesus als Messias (Erlöser, Retter) nicht anerkannt hatten, sei der einstmals geschlossene Bund Gottes mit den Juden auf die Christen übergegangen. Das Judentum als Ganzes wurde von den Christen als falsche Lehre bekämpft.
Das Christentum stand im römischen Imperium aber noch lange nicht auf sicherem Grund. Im dritten Jahrhundert begann eine systematische Verfolgung der Christen bis hin zum Versuch der totalen Ausrottung. Erst im folgenden Jahrhundert wurde die neue Religion zunehmend geduldet und gefördert. Im Jahre 313 n. Chr. endlich gab Kaiser Konstantin der Große zusammen mit Licinius, dem Herrscher des Ostens, die Vereinbarung von Mailand bekannt. Dieses sogenannte Toleranzedikt von Mailand garantierte allen Christen und mit ihnen auch allen anderen Glaubensgemeinschaften die Religionsfreiheit. Schließlich wurde das Christentum 381 n. Chr. unter Konstantins Nachfolger Theodosius I. zur Staatsreligion erhoben. Auch in unserer Gegend wurde das Christentum rasch angenommen. Bereits um 250 n. Chr. gab es in Trier und Metz Christengemeinden und Bischöfe; es erschienen Klemens in Metz und Eucharius in Trier als die ersten Bischöfe der katholischen Kirche.
Mit Beginn der germanischen Völkerwanderung kam es in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts zu weitreichenden Veränderungen und politischen Umwälzungen in Mitteleuropa, an deren Ende der Untergang des römischen Imperiums (476 n. Chr.) und das Erstarken einer neuen Macht standen.
Die fränkische Herrschaft
Auf der Synode von Orléans (511) ließ sich Chlodwig das Recht auf Ernennung oder Bestätigung der Bischöfe verbriefen, ein Kennzeichen für die wachsende Eigenständigkeit einer fränkischen Landeskirche. Den im Volk sehr beliebten hl. Martin von Tours machte er zum Schutzpatron seines Herrscherhauses und des Reiches. Noch im gleichen Jahr starb Chlodwig. Seine vier Söhne wurden gleichberechtigte Könige des Gesamtreiches, was dem germanischen Volksglauben entsprach, wonach das Königsheil von allen Angehörigen des Königshauses ausging. Wiederholte Reichsteilungen und Machtkämpfe untereinander führten aber schließlich zum Zerfall der merowingischen Herrschaft und zum gleichzeitigen Aufstieg der Hof- und Staatsbeamten, der Hausmeier (Major domus = Haus-oder Hofältester). Unter den merowingischen Hausmeiern trat als besondere Persönlichkeit Karl Martell ("der Hammer") hervor, der das gesamte Frankenreich wieder festigte. Gleichzeitig trugen zur "Rettung des christlichen Abendlandes" die Missionierungen der Wandermönche, besonders durch Willibrod und Bonifatius und die Neuorganisation der Bistümer aus römischer Zeit ihren Anteil bei.
Karl der Große baute schließlich das Frankenreich zu einem Imperium von rund 1 Million Quadratkilometern und etwa 15 Millionen Einwohner aus und sicherte dieses Riesenreich durch Markgrafschaften an seinen äußeren Grenzen. Die alten Herzogtümer verschwanden dabei zwar, jedoch blieben die althergebrachten Stammesrechte weitgehend erhalten. Unter Karl entstanden etwa 230 neue Grafschaften, darunter auch die Bliesgrafschaft unserer Gegend. Zwar blieb Karl selbst nach alter Verfassungstradition "primus inter pares", also Erster unter Gleichen, doch beherrschte das Prinzip der Vasallität die Ebenen unter dem König und späteren Kaiser der Franken. Die Masse der Franken war wohl kühn, jedoch keineswegs frei. Sie gehörte zu der Volksschicht der Kolonen, Untertanen mit stark eingeengten Freiheiten. Und nicht zu vergessen die völlig Rechtlosen: etwa ein Zehntel bis ein Fünftel der Gesamtbevölkerung waren Sklaven, die zum allgemeinen Besitz gehörten und mit diesem gekauft und verkauft werden konnten.
Büstenreliquiar Karls d. Gr. aus dem Jahre 1349. Das wertvolle Kunstwerk entstand in Aachen zur Zeit Karls IV. (1316-1378) und enthält die Hirnschale Karls des Großen. Es befindet sich heute in der Schatzkammer des Aachener Doms.