Antisemitismus und Rassismus sind seit Anbeginn wesentliche Merkmale der nationalsozialistischen Ideologie. Mit den auf dem Nürnberger Parteitag am 15. September 1935 beschlossenen und einen Tag später in Kraft getretenen Nürnberger Gesetzen („Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ und „Reichsbürgergesetz“), die auch als Nürnberger Rassegesetze oder Ariergesetze bekannt wurden, wird diese gegen das jüdische Volk gerichtete und die eigene Rasse verherrlichenden Ideologie vom Hitler-Regime auf eine rechtliche Grundlage gestellt.
Die Abbildungen oben zeigen den Titel des Reichsgesetzblattes von 1935 und Titel und Inhalt einer Gesetzessammlung dieser Zeit
Spätestens zu diesem Zeitpunkt steht den in Deutschland lebenden Juden klar vor Augen, dass die neuen Gesetze in letzter Konsequenz lebensbedrohend für sie sind. Viele sahen in der Emigration in sichere Drittländer den einzigen Ausweg, der drohenden Verfolgung und Vernichtung zu entkommen. Auch aus dem Saargebiet emigrieren seit 1935 Tausende Juden. Lebten zu Beginn des Jahres 1933 noch 4.638 Juden unter uns, so waren es bei der Volkszählung im Mai 1939 nur noch 479 „Glaubensjuden“ und 78 „Rassejuden“. Der Rückgang der jüdischen Bevölkerung ist auch durch die Evakuierung des Grenzgebietes zu Frankreich bei Beginn des 2. Weltkrieges zu erklären, wovon besonders die recht großen jüdischen Gemeinden in Saarbrücken, Saarlouis und Merzig betroffen waren. Von der Rückführung in ihre Heimat wurden sie im Sommer 1940 fast vollständig ausgeschlossen; stattdessen führte ihr Weg in die Vernichtungslager des NS-Regimes im Osten.
Bereits am 1. April 1933 begannen in Berlin die ersten konkreten Repressionen gegen jüdische Mitbürger. (Bild: Bundesarchiv, Bild 102-14468 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de)
Bereits vor Inkrafttreten der Nürnberger Gesetze waren die Juden des Saargebiets vielfältigen Schikanen, einer antisemitischen Propaganda und zunehmenden Drangsalierung ausgesetzt. Nach dem Erlass der antijüdischen Gesetze verstärkten sich diese Repressalien und erreichten im Novemberpogrom des Jahres 1938 einen vorläufigen Höhepunkt. In der von den Nazis „Reichskristallnacht“ genannten, staatlich organisierten Gewaltaktion wurden über 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe zerstört.
Sonderbriefmarke der Deutschen Bundespost zum 50. Jahrestag der Pogromnacht am 9. November 1938.
In den Grenzen des heutigen Saarlandes standen 14 Synagogen, die in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 niedergebrannt oder verwüstet wurden. Darunter auch die Ottweiler Synagoge auf dem Schlossplatz, deren Inneneinrichtung in der Pogromnacht verwüstet und auf dem Schlossplatz verbrannt wurde.
Die »Bürckel-Wagner-Aktion«
Der deutsche Angriff auf Polen am 1. September 1939 markierte den Beginn des 2. Weltkrieges. Gut acht Monate später eröffnete Hitler mit dem Feldzug gegen Frankreich auch den Krieg im Westen. Am 14. Juni 1940 besetzten deutsche Truppen die französische Hauptstadt und eine Woche später wurde der deutsch-französische Waffenstillstand unterzeichnet. Der gesamte Norden und ein breiter Streifen entlang der Kanal- und Atlantikküste im Westen Frankreichs wurden Besatzungsgebiet. Im restlichen Südosten errichtete sich im Badeort Vichy ein autoritäres Regime unter dem französischen Marschall Petain, das mit den deutschen Besatzern zusammenarbeitete. Die nachfolgende linke Karte zeigt die geografische Aufteilung Frankreichs in die "Besetzte Zone" und "Unbesetzte Zone"
In diese Zeit, als Hitler auf dem Gipfel seiner Popularität in Deutschland stand, fiel die erste flächendeckende Deportation der jüdischen Bevölkerung aus Teilen des sog. Altreiches. Die Initiative dazu ging von zwei NS-Gauleitern aus: Josef Bürckel, dem Gauleiter der Saarpfalz (Saargebiet und die sich anschließende Pfalz) und von Robert Wagner, dem Gauleiter Badens (Bodenseegebiet, gesamter Schwarzwald bis zum mainfränkischen Gebiet). Bürckel und Wagner hielten sich am 25. September 1940 zu einer Besprechung mit Hitler in der Berliner Reichskanzlei auf. Hitler billigte die Vorschläge der beiden Gauleiter, so dass vermutet werden kann, dass an diesem Tag die Entscheidung über die Abschiebung der Juden aus den beiden Gauen definitiv getroffen wurde.
Die Verantwortlichen der Deportation: Oben: Josef Bürckel (links) und Robert Wagner, Mitte: Henry Philippe Petain (links) und Adolf Hitler. Unten: Heinrich Himmler (links) und Reinhard Heydrich
Die Deportation vom 22. Oktober 1940
Die Deportation selbst, die am 6. Tag des jüdischen Laubhüttenfestes begann, war eine Geheimaktion, in deren konkrete Planung neben Hitler und seinen beiden Gauleitern Bürckel und Wagner auch der Reichsführer-SS (SS = Schutz-Staffel) Himmler und der Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA, 1939 aus der Zusammenlegung von Sicherheitspolizei [Sipo] und Sicherheitsdienst [SD] entstanden) Heydrich eingebunden waren. Deren Befehle wurde von den örtlichen Gestapo-Stellen (Gestapo = Geheime Staatspolizei) ausgeführt.
Im Saarland war mit der Ausführung der Deportationsbefehle die Gestapo-Leitstelle im Saarbrücker Schloss beauftragt worden. Es gab genaue Listen mit den jüdischen Personen, die am 22. Oktober 1940 verhaftet wurden. Alle im Saarland Verhafteten wurden zunächst am Saarbrücker Schlossplatz gesammelt und dann ins nahe Forbach gebracht. Von dort erfolgte der Weitertransport mit der Eisenbahn über Chalon-sur-Saône, dem letzten Bahnhof im besetzten Frankreich, nach Oloron Sainte Marie in den Pyrenäen. Mit Lastwagen wurden die Deportierten dann in das etwa 15 km entfernte Lager in Gurs transportiert.
Gurs [gyʁs; y=ü] ist eine französische Gemeinde mit 419 Einwohnern (Stand 1. Januar 2017) im Département Pyrénées-Atlantiques in der Region Nouvelle-Aquitaine. Sie gehört heute zum Kanton Le Cœur de Béarn.
Ansicht des Lagers in Gurs
»Am 22. Oktober 1940 wurde ich mit meinem Mann durch die Gestapo verhaftet und ausgewiesen. Um 10 Uhr wurden wir nach dem Schloßplatz mittels Auto abtransportiert, wurden dem Notar Portz vorgeführt, um zu unterschreiben, daß wir unser Haus nach Berlin abgeben, und wurden gegen Mittag mit noch vielen anderen Juden in ein Schulhaus nach Forbach transportiert, wo wir nochmals nach Geld und Schmucksachen untersucht wurden. Nachmittags gegen 17 Uhr wurden wir mittels eines Extrazuges, welcher 3 Tage unterwegs war, nach Gurs (Pyrenäen) abtransportiert.«
(Bericht der Anna Heymann geb. Augustin aus Saarbrücken)
Die nach Gurs deportierten Juden mussten ihre Vermögenswerte in ihrer Heimat zurücklassen. Heinrich Himmler beauftragte mit der „Sicherstellung“ dieser Werte den seit dem 1. Mai 1940 im Gau Westmark tätigen Regierungspräsidenten Karl Barth, der wiederum den Gauwirtschaftsberater Wilhelm Bösing zum „Treuhänder“ bestellte. Bösing hatte bereits im November 1938 die »Saar-Pfälzische-Vermögens-Verwertungs-GmbH« als Auffanggesellschaft zur „Arisierung“ jüdischen Vermögens gegründet.
Die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg hat eine ausführliche Dokumentation zur Deportation nach Gurs herausgegeben:
"...es geschah am helllichten Tag!"
Die Deportation der badischen, pfälzer und saarländischen Juden in das Lager Gurs/Pyrenäen
Mit dem folgenden Link gelangen Sie auf die Seite:
https://www.lpb-bw.de/publikationen/helllichten/tag04.htm
16 jüdische Mitbürger aus Ottweiler wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert.
Einige von ihnen waren bereits nach der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 vorübergehend in „Schutzhaft“ genommen und in das KZ Dachau verbracht worden.
Die sogenannte »Schutzhaft«
Mit dem beschönigenden Begriff „Schutzhaft“ bezeichnete das NS-Regimes die bereits 1933 einsetzenden willkürlichen Maßnahmen gegen seine Widersacher. Nach dem Inkrafttreten der „Nürnberger Gesetze“ 1935 wurde die „Schutzhaft“ verstärkt gegen die Juden angewendet. Allein aufgrund einer polizeilichen Anordnung, die keiner richterlichen Kontrolle (z.B. einer Haftprüfung) unterlag, wurden vor allem Juden, aber auch andere missliebige Personen und Regimegegner, wie etwa Marxisten oder SPD-Mitglieder, verhaftet und in die Konzentrationslager überstellt. Die Verhaftungen selbst erfolgten größtenteils durch die Kommandos der Gestapo (Geheime Staatspolizei). Gegen die Verhängung der „Schutzhaft“ stand den Betroffenen kein Beschwerderecht zu.
Nachfolgend die Begründung aus dem „Schutzhaftbefehl“, mit dem das Bezirksamt Frankenthal am 2. September 1935 den 1902 in München geborenen und nun in Grünstadt lebenden Arbeiter Johannes Langmantl verhaften ließ:
»Gründe: Johannes Langmantl ist ein Marxist und hat bis heute seine staatsfeindliche Gesinnung in keiner Weise geändert. Dies bringt er bei jeder Gelegenheit zum Ausdruck. Er und seine Ehefrau kaufen bewußt nur in jüdischen Geschäften und stellen sich damit in den Gegensatz zum nationalsozialistischen Wollen. Langmantl gefährdet durch sein Verhalten die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar und war daher in Schutzhaft zu nehmen.«
Nach dem Pogrom von 1938 wurden reichsweit etwa 35.000 Juden in „Schutzhaft“ genommen. Neben einer allgemeinen Einschüchterung war Ziel der Aktion, die Juden zur Aufgabe ihres Eigentums und zur Auswanderung zu veranlassen.
Nachfolgend sind die von Ottweiler nach Gurs Deportierten mit ihren Namen, Geburtsjahr und ihrem weiteren Schicksal aufgeführt:
Die folgende Karte zeigt Frankreich mit der besetzten Zone nach der deutschen Militärbesatzung und der unbesetzten Zone des sog. Vichy-Regimes. In der Karte sind die wichtigsten mit den Deportationen zusammenhängenden Orte enthalten.
Das Lager Drancy
Im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus errichteten die Franzosen anfangs der 30er Jahre in der 20 km nordöstlich von Paris gelegenen Stadt Drancy eine viergeschossige U-förmige Großwohnanlage, deren Innenhof 400 m lang und 40 m breit war. Nach der deutschen Besetzung Frankreichs 1940 beschlagnahmte die Wehrmacht den Gebäudekomplex und machte daraus, wegen seiner Nähe zu einem großen Pariser Verschiebebahnhof, ein Sammel- und Durchgangslager. Als Großwohnanlage war der Bau ursprünglich für 700 Menschen konzipiert worden, auf seinem Höhepunkt als Internierungslager waren darin mehr als 7.000 Menschen eingesperrt. Für die meisten Lagerinsassen in Gurs führte der Weg in die Vernichtungslager des Ostens über das Sammellager Drancy.
Der 1988 eröffnete Zeugen-Waggon (Wagon Témoin) ist als Zeugnis der Deportation heute Teil eines Mahnmals, das der israelisch-französische Bildhauer Shlomo Selinger im Jahre 1976 geschaffen hatte. (Foto: Dominique Natanson)
Die folgenden Bilder zeigen das Mahnmal und einen Teil des Gebäudekomplexes, der heute wieder, seiner ursprünglichen Bestimmung entsprechend, für Sozialwohnungen genutzt wird. (Fotos: Kristin Parker)