Novum Monasterium

Vom Chorherrenstift zum Nonnenkloster

Das Chorherrenstift, über dessen Geschichte im vorhergehenden Kapitel berichtet wurde, bestand nur wenig mehr als hundert Jahre. Dann löste sich die "Vita communis", das gemeinsame Leben der Kanoniker im Zuge einer progressiveren Seelsorgeentwicklung auf.

Etwa um 1005 war es dann wiederum ein Metzer Bischof, dem die Stelle am Hahnenberg und der Wasserreichtum der Gegend wie geschaffen für das geistliche Leben erschien. Adalbero II. (984 - 1005) ließ an der Stelle des verfallenen Stiftes ein Frauenkloster errichten, ein neues Münster (Novum monasterium), wie es in der Überlieferung heißt. Damit die Rechte dieses neuen Klosters unantastbar wurden, bemühte sich der Metzer Bischof auch hier um eine Bestätigung des weltlichen Herrschers, dem durch eine entsprechende Urkunde Kaiser Heinrich II. entsprochen wurde. Neumünster ist als Name des Ottweiler Stadtteils östlich der Blies bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben.

Erhalten geblieben sind auch zwei Schlüssel, die auf Neumünster gefunden und dem ehemaligen Nonnenkloster zugeordnet wurden. Die Abbildung zeigt den mit einer Länge von 23 cm größeren der beiden Schlüssel, die sich im Besitz der kath. Kirchengemeinde Ottweiler befinden. Die beiden sog. "Klosterschlüssel" wurden beim Sommerfest der Pfarrei am 6. August 2000 als Dauerleihgabe an das Stadtgeschichtliche Museum Ottweiler übergeben.

Bildliche Darstellungen des Neuen Münsters sind nicht überliefert. Aber bereits im 19. Jahrhundert beschäftigten sich die Ottweiler Heimatforscher intensiv mit der äußeren Gestalt des Klosters auf der Basis von vor Ort vorgefundenen Bauresten. Anlässlich der Tausendjahrfeier der Pfarrei wurden im Jahre 1864 bei einer feierlichen Prozession aus der Stadt zwei Ansichten des Klosters hinauf nach Neumünster getragen, an jene Stelle, an der es einstmals stand. Diese Zeichnungen zeigen den Grundriss und die Ansicht einer im gotischen Stil erbauten Klosterkirche mitsamt der zugehörigen Gebäude.


Fundamente, Mauern, Tore und andere Bauelemente des ehemaligen Klosters waren im 19. Jahrhundert noch leichter zugänglich, vor allem weil der Bereich der Klosterstraße noch nicht so dicht bebaut war als heutzutage. Aber auch die neuere Zeit brachte bei gründlicher Untersuchung des Areals der Klosterstraße und fachgerechter Bewertung der dabei gemachte Entdeckungen Erstaunliches ans Licht. Das war im Jahre 1998 der Fall, als der Architekt Karl Dieter Groß das gesamte Umfeld des Klosters einer genauen Prüfung unterzog und die Ergebnisse auf einem detaillierten Lageplan zusammenfasste.


Diese maßstäblich in eine aktuelle Flurkarte übertragenen Befunde über noch vorhandene Fundamente, Mauern und Mauerreste ergeben eine gute Grundlage dafür, welche Ausdehnungen die einzelnen Bestandteile des Klosters einmal hatten. Sehr interessant dabei ist auch, dass Groß den Standort der Johanneskirche, der Tauf- und Pfarrkirche zu Neumünster ausfindig machen konnte. Der lag nach seinen Entdeckungen nicht in der Feldstraße, sondern unweit der Klosterkirche in der Klosterstraße. Fundamente und Mauerreste des Turms der Johanniskirche konnten zwar im Haus Feldstraße 3a nachgewiesen werden, das Kirchengebäude selbst mit dem Chor erstreckte sich aber über das Grundstück des heutigen Anwesens Klosterstraße 4.

Nach allen Befunden ergibt sich die nachfolgende Übersicht aller historischen Bauwerke, die auf der Karte eingezeichnet wurden, welche auf der Grundlage der Flurkarten des preußischen Urkatasters der Jahre 1847bis 1849 erstellt wurde.


Von der Frühzeit des Klosters bis ins hohe Mittelalter hinein war auf Neumünster ein umfangreiches Klosterarchiv vorhanden. Noch im Jahre 1329 lagen dem Official am Metzer Bischofssitz alle Urkunden im Original zur Ausfertigung von Abschriften vor, sowohl aus der Gründerzeit des Chorherrenstiftes, wie auch des späteren Nonnenklosters. Während der kriegerischen Auseinandersetzungen der folgenden Jahrhunderte gingen die meisten dieser Dokumente, wie auch der größte Teil des Klosterarchivs, unwiederbringlich verloren.

Die Kriegswirren überstanden hat diese Schenkungsurkunde, in der Theodor, Priester und Kaplan von St. Georg in Metz, sein dortiges Haus im Jahre 1214 dem Kloster Neumünster vermachte, unter der Bedingung eines lebenslangen Wohnrechts darin. Neumünster hatte durch eine weitere Schenkung des Nikolaus Kirchherr, Pfarrer zu St. Anian und Erzpriester zu Noisseville seit 1388 ein weiteres Haus in Metz in Besitz. Grund dieser Besitzungen waren die über das ganze Mittelalter andauernden regen Beziehungen des Klosters zu seiner Diözesanstadt Metz, das nicht nur wirtschaftlicher Mittelpunkt der Region, sondern auch Sitz der Gerichtsbehörde war. Vor dem Official zu Metz wurden wichtige Verträge geschlossen und Streitigkeiten beigelegt.

Von großer Bedeutung für die Menschen der damaligen Zeit war die Verehrung von Heiligen, vor allem dann, wenn Reliquien von ihnen erhalten waren. Bereits der Stiftsgründer Adventius hatte dafür gesorgt, dass die Reliquien seines Vorgängers Terentius, der im 5. Jh. zwanzig Jahre lang Bischof in Metz war, auf den Hahnenberg überführt wurden. Wenngleich nicht bekannt ist, ob sie in einem Grab oder Altar oder sogar in einem Schrein aufbewahrt wurden, so wurde in einem Bericht der damaligen Äbtissin Katharina von Forbach über die Pfingstwallfahrt der Christen nach Neumünster im Jahre 1306 von einem Schrein erzählt, in dem sie selbst, der Nonnenkonvent und viele Geistliche und Gläubige den Leib des heiligen Terentius gesehen hätten. Der Verbleib der Reliquien lässt sich heute nicht mehr feststellen. Zwar berichtete Johann Anton Josef Hansen, der von 1838 bis 1875 Pfarrer und Dechant in Ottweiler war, dass in den Jahren 1815/16 der damalige Pastor Kranz nochmals Grabungen nach den Fundamenten und Reliquien des Klosters veranstaltet habe. Sie seien aber ergebnislos verlaufen. Kein Anhaltspunkt für die Geschichte des Klosters sei gefunden worden. Hansen schloss seine Schilderungen mit den Worten ab: "Es ist, als wäre auch zu Neumünster, wie einst in Jerusalem, der Ruf erschollen: Ihr Götter zieht von Dannen."

Es gibt dennoch sehr reale Hinweise auf die Übertragung des Hl. Terentius von Metz nach Neumünster. Der im 1987 erstmals vom Verlag Herder in Freiburg im Breisgau herausgegebene "Atlas zur Kirchengeschichte" über die christlichen Kirchen in Geschichte und Gegenwart enthält auch ein Kapitel, das sich mit den Reliquienübertragungen im Zeitraum zwischen 600 und 1200 befasst. In der tabellarischen Übersicht der Translationen findet sich der Eintrag "Übertragen nach: Neumünster, Übertragen von: Metz, Heiliger: Terentius". (Altlas zur Kirchengeschichte, Seite 25*). Im zugehörigen Kartenteil wurde die geografische Lage eingezeichnet mit dem Textzusatz "Neumünster, 871, Terentius" (a. a. O, Seite 28).


Auch aus den Ausführungen von Pater Johannes Hau OSB, der 1934 in der Festschrift aus Anlass der "Wiederkehr des hundertsten Consekrationstages der Pfarrkirche von Ottweiler" die Geschichte des Chorherrenstifts und des Klosters Neumünster sehr ausführlich beschrieben hatte, geht die Übertragung des Hl. Terentius nach Neumünster als real geschehener Akt hervor.

Die Abbildung oben zeigt die aus dem beginnenden 16. Jahrhundert erhalten gebliebene Professurkunde einer Nonne Anna, die sie als Novizin beim Eintritt in das klösterliche Leben als Nonne verlesen musste. Der Text lautet in deutscher Übersetzung: "Ich, Schwester Anna, verspreche Stabilität und Bekehrung meiner Sitten und Gehorsam nach der Regel des heiligen Benedikt, vor Gott und seinen Heiligen, in diesem Kloster, das errichtet ist zur Ehre der heiligen Dreifaltigkeit und des heiligen Terentius, in Gegenwart der Äbtissin Demude".

Neumünster bestand als Benediktinerinnenkloster bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts hinein. Im Zuge der Reformation wurde die damalige Grafschaft, entsprechend dem herrschaftlichen Bekenntnis, protestantisch. Während die Reformation durch Dr. Morselius nach und nach in der ganzen Grafschaft eingeführt wurde, befanden sich im Kloster nur noch die Äbtissin Elisabeth Blick von Lichtenberg mit zwei Nonnen, den Geschwistern Margreth und Anna von Schwarzenberg. Im Jahre 1576 übergaben sie das Kloster endgültig an den Grafen Albrecht von Nassau-Saarbrücken-Ottweiler und zogen in das Privathaus in der Stadt, das Jahre zuvor vom Kloster angekauft wurde. Was danach aus den letzten Nonnen des Klosters Neumünster geworden ist, blieb der Nachwelt nicht erhalten.

Allein erhalten geblieben ist das Haus selbst. Der lange Zeit geltenden Überlieferung nach soll es sich dabei um das Gebäude mit der Hausnummer 8 in der heutigen Goethestraße handeln, das direkt an die alte Stadtmauer angebaut wurde und in unmittelbarer Nähe zum einstigen Linxweiler Stadttor steht. Dieser Überlieferung nach wird es noch heute "Nonnenhaus" genannt. Auf dem Bild links ist es das von der Sonne angestrahlte Haus.

Ob das "Nonnenhaus" aber tatsächlich identisch mit dem Haus Goethestraße 8 ist, muss bei ernsthafter Betrachtung der überlieferten Fakten zumindest in Frage gestellt werden. Denn die jüngere Erforschung der Ottweiler Verhältnisse in der Zeit des 16. bis 18. Jahrhunderts liefert Erkenntnisse, die nahe legen, dass es möglicherweise ein anderes Haus am heutigen Rathausplatz war, das mit dem Kloster Neumünster in Beziehung stand.

Neue Erkenntnisse zum "Äbtissinnenhaus"

Ralf Schneider, ein ausgewiesener Fachmann der Baugeschichte der Stadt, belegt im Kapitel „Herrschaftliche Bauten in Ottweiler“ seines im Jahre 2020 erschienenen Buches über das Ottweiler Residenzschloss, dass das heutige Haus Kirchstraße 3, das direkt an den Rathausplatz angrenzt, vermutlich das ehemalige Äbtissinnenhaus war. In einer Urkunde vom 05. Oktober 1600 wird es als Tauschobjekt mit einem anderen Haus erwähnt, wonach Graf Ludwig von Nassau-Saarbrücken „sein erbautes Haus am Markt zu Ottweiler, einerseits Johann Schmidt, andererseits die offene Gasse, gegen das sogenannte Äbtissinhaus am Markt zu Ottweiler“ tauscht. Bei diesem erbauten Haus handelte es sich um das Eckhaus Schlosshof/Sammetgasse, also das linke Gebäude in der Häuserzeile am Schlosshof, die rechts mit dem „Hesse-Haus“, dem alten Amtshaus abschließt.

Auf der alten Luftaufnahme der Altstadt sind die beiden Tauschobjekte markiert, links das Haus Kirchstraße 3 und rechts das Eckhaus Schlosshof/Sammetgasse.

Die Identifizierung des Hauses Kirchstraße 3 als Äbtissinnenhaus konnte Ralf Schneider erst gelingen, als er den an diesem Haus angebauten bodenständigen Erker in seiner ursprünglichen Form einer architektonischen Bewertung unterzog. Das war erst möglich, nachdem der Erker in seinen ursprünglichen Erbauungszustand zurückversetzt worden war. Dies geschah zu Beginn der 1990er Jahre, als der bis dahin auf dem Erker angebrachte Putz mit hohem Aufwand entfernt und die darunter verdeckte originale Bausubstanz freigelegt wurde. Nach Abschluss dieser Restauration zeigte sich Erstaunliches: der Erker besaß kannelierte Lisenen, die Brüstungsfelderung bestand aus vielen diamantierten Quadersteinen und am Ende der mittleren Lisene war, und das ist das überraschendste Detail, ein Wappenschild eingearbeitet, das einen Kelch zeigte. Ralf Schneider zieht aus diesem Befund einen eindeutigen Schluss: „Da Symbole in Wappenschildern immer Aussagen über die Bewohner des jeweiligen Gebäudes beinhalten, besagt dieses Wappen, dass es sich hier um das Quartier von Menschen des geistlichen Standes handelte. Da sich zudem in direktester Nachbarschaft die doppelgeschossige Kapellenanlage befand, die sich im Laufe der Zeit zur heutigen evangelischen Stadtkirche vergrößerte, ist die Funktion des Hauses als archivalisch belegtes Äbtissinnenhaus mehr als nahe liegend.“

Auf vier der fünf Bilder sieht man den verputzten Erker (Lisenen und Brüstungsfelderung sind markiert). Wahrscheinlich war er schon im 19. Jh. verputzt, sonst hätte sich Hansen zumindest zu dem Wappenschild mit dem Kelch geäußert.

Anhand dieser vorgefundenen architektonischen Merkmale kann die bisher gedachte Entstehung des Hauses am Marktplatz mit dem charakteristischen Erker in der Barockzeit keinen Bestand mehr haben. Vielmehr muss von einem Bau während der Renaissance, etwa in der Zeit der Entstehung des Ottweiler Schlosses im 16. Jahrhundert, ausgegangen werden. Dass die Bauzeit bislang dem Barock zugeordnet wurde, liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit an der dicken Putzschicht, die über lange Zeit die feinen Strukturelemente des Erkers überdeckten. Schon ganz alte Aufnahmen von 1905 zeigen den verputzten Erker, der das darunter Verborgene nicht erahnen lässt. Wahrscheinlich kannte auch Anton Hansen seinerzeit, wie nach ihm alle anderen Heimatforscher nur den Erker in der verputzten Form, sonst hätten sie sich intensiver dem Gebäude gewidmet und wären vor allem der Bedeutung des Wappens mit dem Kelch auf den Grund gegangen.

Nicht zuletzt die unmittelbare Nähe zur ehemaligen Mechthildiskapelle zum Heiligen Kreuz legen nahe, dass das Haus in der Kirchstraße das "Äbtissinnenhaus" ist, jenes Haus, in das sich die letzten Nonnen von Neumünster zurückzogen.

Wo das "Nonnenhaus" auch gestanden haben mag, es erinnert an die Zeit, als das christliche Gemeindeleben in Ottweiler seinen Anfang nahm und ist somit Teil der gemeinsamen Vergangenheit evangelischer und katholischer Christen in der Stadt.


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