Stolpersteine in Ottweiler

5. Verlegeaktion am 8. November 2022

Die mittlerweile fünfte Verlegeaktion war – wie schon bei der Verlegung von 13 Stolpersteinen im Jahre 2018 - den Angehörigen der aus politischen Gründen verfolgten Familien aus Ottweiler gewidmet. Am 8. November 2022 wurden 13 Stolpersteine für die Familien THOMAS in der Wilhelm-Heinrich-Straße 15, NAUMANN, Auf dem Graben 3, WEINGARDT, Rathausplatz 4 und PFORDT in der Linxweilerstraße 1 der Öffentlichkeit übergeben. Aus Termingründen konnte der Künstler Gunter Demnig, der das europaweit größte dezentrale Mahnmal „Stolpersteine“ im Jahre 1992 gegründet hatte, die Verlegung diesmal nicht persönlich vornehmen. Diese Arbeit übernahmen dankenswerterweise Mitarbeiter des Ottweiler Bauhofs.

Die Familie Thomas, Wilhelm-Heinrich-Straße 15

Der am 25.04.1904 geborene Kurt Thomas heirate im Jahr 1925 Ida Klein. Am 10.01.1926 kam der gemeinsame Sohn Kurt zur Welt. Kurt und Ida Thomas traten um 1930 gemeinsam in die SPD und in die Rote Hilfe ein. Die Familie emigrierte 1935 nach Frankreich und wurde u.a. in Montauban interniert. In Frankreich kam es zum Bruch mit der SPD und zum Übertritt in die Kommunistische Partei (KP). Im gleichen Jahr gelangte die Familie mit Hilfe des Internationalen Roten Kreuzes nach Moskau. Dort setzte ein Prozess der Desillusionierung ein, Bemühungen um eine Rückkehr in die Heimat blieben aber vergeblich. Im Mai 1936 konnte Ida Thomas mit ihrem Sohn Kurt über Dänemark nach Ottweiler zurückkehren. Kurt Thomas hingegen wurde am 29./30. Juli 1937 durch das sowjetische „Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten“ wegen „Spionage und konterrevolutionäre Betätigung“ verhaftet und gilt seitdem als vermisst. Noch während der Zeit des Nationalsozialismus bemühte sich Ida Thomas vergeblich um Auskunft über das Schicksal ihres Mannes. Der Sohn Kurt starb Ende 1944 als Soldat bei Mayen. Am 8. November 1963 wurde Idas Mann Kurt vom Amtsgericht Ottweiler zum 31.12.1942 für tot erklärt. Ida Thomas starb am 22. Dezember 1977.

Das heutige Haus Wilhelm-Heinrich-Straße 15 direkt links neben dem Gasthaus "Zur Sonne" (Bild: Hans Werner Büchel, Ottweiler 2023)

Das Haus Wilhelmstraße 15, in dem die Familie Thomas wohnte, um 1900. Darin befand sich das Gasthaus "Zum Mond". Das Gasthaus rechts trug damals wie heute den Namen "Zur Sonne" und hatte die Hausnummer 17. (Bild: Archiv Foto Klotz aus "Ottweiler - 100 Jahre im Bild", Band I)

Die Stolpersteine für Familie Thomas (Bild: Hans Werner Büchel, Ottweiler 2023)

Friedrich und Adelheid Naumann, Auf dem Graben 3

 

Friedrich Wilhelm Naumann wurde am 26. Juli 1899 geboren und wuchs in einem sozialdemokratisch, kommunistisch geprägten Umfeld auf. Nach der Schulausbildung war er Arbeiter in der chemischen Fabrik Neuhaus in Ottweiler und auf dem Neunkircher Eisenwerk. Von 1917 bis 1919 war er als Soldat im I. Weltkrieg und in Gefangenschaft. 1922 heiratete er Adelheid Tries, 1924 kam die Tochter Hildegard zur Welt. Ab 1920 arbeitete Friedrich Wilhelm Naumann als Bergmann auf der Grube Kohlwald, wurde Mitglied im freien Bergarbeiterverband und der Roten Hilfe und unterstützte Emigranten aus dem Reich ins Saargebiet, nachdem Hitler die Macht übernommen hatte. 1935 emigrierte die Familie nach Frankreich, Verbreitung von Zeitschriften und Werbematerial gegen das 3. Reich. 1939 bis 1940 Internierung in Pont-à-Mousson und in Charroux und anschließende Beschäftigung als Dienstleister. Am 19. Februar 1941 wird Friedrich Naumann durch die Gestapo in Völklingen verhaftet, nach Stuttgart verlegt und ein Jahr später vom Oberlandesgericht Stuttgart wegen Verleitung zum Hochverrat zu einem Jahr Gefängnis unter Anrechnung der U-Haft verurteilt. Am 22. Februar 1942 wird er entlassen, kehrt nach Ottweiler zurück und unterliegt danach der ständigen Überwachung durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo). Nach Arbeit als Bergmann und in der diplomatischen Mission Frankreichs wird Friedrich Naumann am 31. Juli 1959 pensioniert. Im Jahre 1947 erfolgt die Anerkennung als „Opfer des Faschismus“ und nachfolgend zu Entschädigungszahlungen nach dem Wiedergutmachungsgesetz (1949) und dem Bundesentschädigungsgesetz (1965). Friedrich Naumann stirbt am 10. Juni 1976, seine Frau Adelheid am 14. April 1990, beide wohnten in ihrem Haus Am Graben 3. Die Tochter Hilde Langenberg starb nur wenige Tage vor der Verlegung der Stolpersteine für ihre Eltern am 1. Oktober 2022.

 

Das Haus "Auf dem Graben 3" heute, das sich unmittelbar am Durchgang von der Alten Kirchhofstraße zum Rathausplatz befindet. (Bild: Hans Werner Büchel, Ottweiler 2023)

Die Häuser "Auf dem Graben" im Jahre 1905. (Bild: Archiv Foto Klotz aus "Ottweiler - 100 Jahre im Bild", Band I)

Die Stolpersteine für Friedrich und Adelheid Nauman (Bild: Hans Werner Büchel, Ottweiler 2023) Hinweis: Das Geburtsjahr von Friedrich Naumann wurde auf seinem Stolperstein versehentlich falsch eingraviert; es lautet richtig: JG 1899

Die Familie Weingardt, Rathausplatz 4

Jakob Weingardt wurde am 4. Juni 1880 geboren und arbeitete nach dem Besuch der Schule zunächst als Steinbrecher, wohnte vorübergehend im Ruhrgebiet und kehrte 1916 wieder nach Ottweiler zurück. Nach dem Tod seiner ersten Frau Karoline Fischer heiratete er am 19. November 1921 Luise Wilhelmine Jung. Aus dieser Ehe gingen die Kinder Heinrich (*1922), Gertrud (*1926) und Erich (*1927) hervor. Jakob Weingardt wurde im Vorfeld der Volksabstimmung am 13. Januar 1935 politisch aktiv und wurde Mitglied der Roten Hilfe. Bereits 1926 hatte er an der Gegendemonstration gegen das Kreiskriegerverbandsfest teilgenommen, wurde wegen „Vergehens nach § 125, einfachen Landfriedensbruch, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Unterschlagung und Beleidigung“ angeklagt, im Juli 1927 jedoch freigesprochen. Nach der Machtergreifung Hitlers folgte Jakob Weingardt 1934 einem Aufruf der Kommunistischen Partei zur Massendemonstration und wurde verhaftet. Aus Furcht vor der Verfolgung wegen seiner Tätigkeit als Funktionär der Status-quo-Bewegung emigrierte die Familie am 15. Januar 1935 nach Frankreich. Nach Internierung in Assier und Bagnac/Departement Lot starb Jakob Weingardt am 30. September 1935 in Bagnac. Luise Weingardt hielt sich mit den drei Kindern von 1939 bis 1944 in Decazeville/Aveyron auf. Im November 1942 tauchte der älteste Sohn Heinrich unter und schloss sich der Résistance an. Heinrich Weingardt wurde, kurz nach Vollendung seines 22. Lebensjahres, am 17. August 1944 verhaftet und standrechtlich erschossen (hingerichtet). Am 1. Oktober 1945 wurde er posthum als Widerstandskämpfer mit der Verleihung des Kriegskreuzes mit Palmen von General Charles de Gaulle ausgezeichnet.

Die Mutter Luise Weingardt kehrt mit den beiden Kindern Erich und Gertrud am 20. Juni 1946 nach Ottweiler zurück. Am 15. Juli 1949 wird Luise Weingardt als „Opfer des Faschismus“ anerkannt und erhält Entschädigungszahlungen. Entsprechende Anträge der Geschwister Erich und Gertrud werden abgelehnt.

Das Bild aus dem Jahre 1900 zeigt links das Fachwerkhaus Rathausplatz 4, in dem die Familie Weingardt lebte (Bild: Archiv Foto Klotz aus "Ottweiler - 100 Jahre im Bild", Band I)

Das Haus Rathausplatz 4 heute (Bild: Hans Werner Büchel, Ottweiler 2023)

Die Stolpersteine für die Familie Weingardt (Bild: Hans Werner Büchel, Ottweiler 2023)

Die Familie Pfordt, Linxweilerstraße 1

Karoline Pfordt

 

Karoline wurde am 28. September 1885 als Kind der Eheleute Jakob und Wilhelmine Zimmer geboren. Am 3. April 1906 kam es zur Heirat mit Friedrich Ludwig Pfordt (*6. Oktober 1867), der ab 1920 zum langjährigen Stadtverordneten in Ottweiler wurde, zunächst als Mitglied der Vereinigten Sozialdemokratischen Parteien, ab 1921 als Vertreter der Kommunistischen Partei (KP), deren Ortsgruppe er im gleichen Jahr mitbegründete. Aus der Ehe gingen die Söhne Otto (*1907) und Friedrich Karl (*1909) hervor. Ab Oktober des Jahres 1901 betrieb die Familie Pfordt eine Gastwirtschaft im Haus Linxweilerstraße 1, das seit 1931 zum Parteilokal der KP und Treffpunkt der Status-quo-Bewegung wurde. In dieser Zeit äußerte Karoline Pfordt öffentlich Kritik an der Verhaftung Martin Niemöllers, des Leiters der bekennenden Kirche, sowie am Eingreifen Hitlers in den spanischen Bürgerkrieg. Ihre Kritik verband sie mit dem voraussehbaren Einsatz von Kindern in einem kommenden Krieg und dem Auftreten von Problemen bei der Nahrungsmittelversorgung. Karoline Pfordts Mann Friedrich Ludwig starb im November 1931.
Ab 1932 setzte ein Boykott der Wirtschaft in der Linxweilerstraße ein, der um 1935 zur Verwüstung des Lokals durch die Sturmabteilung (SA) der an die Macht gekommenen Nationalsozialisten führte. Am 14. März 1936 wurde Karoline Pfordt die Schankerlaubnis entzogen. In den Jahren 1937 und 1944 folgten kurzzeitig sog. Schutzhaften. Nach dem Krieg erlangte Karoline Pfordt die Anerkennung als „Opfer des Faschismus“ und ein Jahr später die Rechtskraft des Entschädigungsverfahrens nach dem Wiedergutmachungsgesetz (WGG). Weitere Entschädigungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) wurden 1964 abgelehnt. Karoline Pfordt starb am 9. Mai 1969.

 

Karl Wilhelm, Hedwig und Emmi Pfordt

Karl Wilhelm Pfordt wurde 1877 geboren. Sowohl er selbst, wie auch seine Ehefrau Hedwig (*1878) und seine Tochter Emmi (*1900) wurden im August 1936 wegen des Verdachts auf Spionage festgenommen. Neben der Beobachtung durch die Gestapo trat auch eine Hetze und offene Verachtung für die Familie in der Bevölkerung auf. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt und konnten sich durch die Wiedergutmachung ein neues Leben aufbauen. Hedwig Pfordt starb 1953, ihr Mann Karl Wilhelm 1958 und die Tochter Emmi 1986.

Hildegard Griebichler geb. Pfordt

Hildegard Pfordt (* 1912) war Sekretärin von Max Braun, dem Vorsitzenden der saarländischen SPD. Sie heiratete 1939 den österreichischen Journalisten Peter Griebichler (*1912 †1987). Zusammen mit ihrem Ehemann folgte sie Braun in die Emigration. Sie und ihre Ehemann wurden 1941 in Paris verhaftet und zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Ein Jahr vor Kriegsende nahmen Peter und Hildegard Griebichler ihren Hauptwohnsitz in Klagefurt. 1961 erfolgte die Anerkennung Hilde Griebichlers als Opfer des Nationalsozialismus und die Entschädigung „wegen Schaden an Körper und Gesundheit“ und „Schaden an Freiheit“.

Wilhelm Pfordt

Wilhelm Pfordt (geb. 26. Oktober 1909 in Ottweiler; verstorben 20. Oktober 1938 in Tardienta) war der jüngste der fünf Kinder der Familie Pfordt. Er trat mit 17 Jahren der Sozialistischen Arbeiter-Jugend bei und wurde später SPD-Mitglied und Mitglied des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Er arbeitete als Büroangestellter der Kreissparkasse und engagierte sich zudem im Zentralverband der Angestellten. Im Februar 1935 emigrierte er nach Frankreich und kam in Montauban unter. Dort engagierte er sich in der CGT und unterstützte die dortige Streikbewegung. Am 13. September 1936 ging er nach Spanien und unterstützte dort die Internationalen Brigaden. Er gehörte der Centuria Thälmann an und fiel am 20. Oktober 1936 nach einer Bombardierung durch die Legion Condor.

Das Haus Linxweilerstraße 1 um 1935 (Bild: Gerhard Hupperich aus "Ottweiler - 100 Jahre im Bild, Band III)

Das Haus Linxweilerstraße 1 heute (Bild: Hans Werner Büchel, Ottweiler 2023)


Die Stolpersteine für die Familie Pfordt (Bild: Hans Werner Büchel, Ottweiler 2023)

 


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